Hier finden sie eine ausführliche Beschreibung des Lipödems und seiner aktuellen Therapie durch Dr. Ulrich Herpertz, Internist - Lymphologe - Ödematologe.

Meine Originalarbeiten über das Lipödem auf www.lipödem.de

 

Ausführliche Informationen zur Lipohypertrophie auf www.lipohypertrophie.net

Das Lipödem

Der Ausdruck „Lipödem“ wurde 1940 von Allen und Hines und geprägt. Sie verstanden darunter eine verstärkte Wassereinlagerung in vermehrtes Fettgewebe der Beine infolge Orthostase. Auch wenn diese Definition heute nicht mehr richtig ist (Lipödeme der Arme und auch nächtliche Lipödembeschwerden an den Beinen sind auf diese Weise nicht zu erklären), so hat sich der Ausdruck dennoch bis heute gehalten.

Da es sich dabei um eine Fettgewebsvermehrung besonders der Extremitäten handelt, müssen zuerst die unterschiedlichen Fettgewebsvermehrungen erläutert werden.

Fettgewebsvermehrungen

Fettgewebsvermehrungen können unsymmetrisch oder symmetrisch sein. Das Lipom (gutartige Fettgewebsgeschwulst) ist eine unsymmetrische Fettgewebsvermehrung und kann daher eigentlich nicht mit den symmetrischen Fettgewebsvermehrungen verwechselt werden.

Symmetrische Fettgewebsvermehrungen sind:

·      1. Adipositas (generalisierte alimentär-bedingte Fettgewebsvermehrung des gesamten Körpers, bevorzugt des Bauches)

·      2. symmetrische Lipomatose des Rumpfes, anlagebedingt, z. B. Madelung-Fetthals

·      3. Lipohypertrophie (anlagebedingte Fettgewebsvermehrung der Extremitäten)

·      4. Lipödem (ödematisiertes Fettgewebe bei Lipohypertrophie)

1. Adipositas

Die Adipositas ist sicherlich die am weitesten verbreitete Zivilisationskrankheit, die einerseits bei den Betroffenen zu erheblichen gesundheitlichen Komplikationen führt und andererseits ein zunehmendes sozio-ökonomisches Problem darstellt. Bei Erwachsenen beträgt aktuell die Prävalenz für Übergewicht 37 % und für Adipositas 23 %, wenn man als Messverfahren den Body-Mass-Index (BMI) verwendet. Es wird geschätzt, dass bei der Hälfte der Adipösen nicht übermäßige Kalorienaufnahme, sondern eine genetische Disposition vorliegt.

Es gilt inzwischen als gesichert, dass nicht das subkutane Fett, sondern das viszerale Fett (Eingeweide- oder Bauchfett) das Hauptrisiko für die Gesundheit darstellt. Dieses viszerale Fett produziert Hormone und Entzündungsstoffe (erhöht Interleukin-6, CRP, Leukozyten, Granulozyten), die zu den folgenden bekannten Komplikationen der Adipositas führen:

·      Hypertonie

·      Schädigung des kardiovaskulären Systems als koronare Herzkrankheit (KHK), Apoplex, periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), Nephrosklerose

·      Fettstoffwechselstörung mit Fettleber

·      Gallensteine

·      Diabetes mellitus

·      Gicht

·      erhöhte Thromboseneigung

·      hormonelle Veränderungen mit Potenzstörungen

·      Einschränkungen der Lungenfunktion bis zum Schlaf-Apnoe-Syndrom

·      Orthopädische Erkrankungen wie frühzeitiger Verschleiß an der Wirbelsäule und den Beingelenken

·      erhöhtes Risiko für Altersdemenz

·      erhöhtes Krebsrisiko bei einigen Krebsarten (Mamma-, Colon-Ca.)

·      vermehrt psychiatrische Erkrankungen

 

Exakt kann man das viszerale Fett nur mit der Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) messen. Da diese Untersuchung aus praktischen und Kostengründen nicht routinemäßig durchgeführt werden kann, braucht man ein Maß, das mit dem Eingeweidefett korreliert. Dazu muss man die gängigen anthropometrischen Verfahren zur Diagnostik von Fettgewebsvermehrungen und Adipositas kritisch betrachten:

Body-Mass-Index

Der Body-Mass-Index (BMI = Körpermasse-Index) ist die gebräuchlichste Berechnungsformel für Normal- und Übergewicht.

BMI = Körpergewicht (in kg)//(Körperlänge [in m])2

Der BMI verschleiert eine Adipositas bei schwacher Extremitätenmuskulatur, also bei dünnen Beinen. Er ist falsch überhöht bei großer Muskelmasse, bei schwergradigen Ödemen und bei gynoider Adipositas mit gluteo-femoraler Fettgewebsvermehrung (Birnenform des Körpers) durch Lipohypertrophie oder Lipödem der Beine.

Taille-Hüft-Quotient

Der Taillen- oder Bauchumfang wird zwischen dem Unterrand der untersten Rippe und dem Beckenkamm bestimmt, der Hüftumfang an der breitesten Stelle über den Hüften. Die Normalwerte dieses Quotienten von zwei Umfangsmessungen liegen bei Männern unter 0,9 und bei Frauen unter 0,85.

Der Taille-Hüft-Quotient („waist to hip ratio“ = WHR) ist bei gynoider Adipositas genauer als der BMI. Bei schwergradiger Lipohypertrophie bzw. Lipödemen der Oberschenkel kann jedoch auch der WHR eine Adipositas verschleiern. In der Schwangerschaft und bei Aszites ist der WHR nicht verwertbar.

Bauchumfangsmessung

Die Bauchumfangsmessung („waist circumference“ = WC) ist die einfachste Methode, eine Adipositas festzustellen. Der Bauchumfang sollte bei Männern weniger als 94 cm und bei Frauen weniger als 80 cm betragen. Dabei wird der Bauch-Taillen-Umfang in der Mitte zwischen dem Unterrand der untersten Rippe und dem Beckenkamm gemessen. Diese einfache Messmethode zeigt die Vermehrung des viszeralen Fettes ziemlich sicher an und identifiziert genauer als der BMI die Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem und metabolischem Risiko. Die alleinige Bauchumfangsmessung berücksichtigt jedoch nicht, dass der Bauchumfang bei kleinwüchsigen Menschen geringer ist als bei großwüchsigen. In der Schwangerschaft und bei Aszites kann die Bauchumfangsmessung nicht zur Adipositasdiagnostik verwendet werden.

Bauch-Größe-Quotient

Der Bauch-Größe-Quotient (BGQ, „waist to height ratio“ = WHtR) berücksichtigt neben dem Bauchumfang auch die Körpergröße. Der Quotient sollte im Normalfall bei Männern und Frauen unter 0,45 liegen.

Diese Messmethode wird in vielen Studien als der aussagekräftigste Indikator in Bezug auf das Risiko angesehen, an einem metabolischen Syndrom und an kardiovaskulären Komplikationen zu erkranken, zumal diese anthropometrische Methode als einzige sowohl für Erwachsene, Kinder und jeden Menschentypus gleichermaßen gilt. Diese Feststellung trifft besonders für die Lymphologie zu, da bei schwergradigen Ödemen und schwergradiger Lipohypertrophie bzw. Lipödemen alle anderen anthropometrischen Messmethoden (auch der BMI) falsche Resultate liefern. Der BGQ ist lediglich in der Schwangerschaft und bei Aszites nicht zu verwerten. Der Nachteil des BGQ ist, dass man einen Rechner zur Ermittlung des Quotienten benötigt.

Adipositas-Stärkegrade beim BGQ: Übergewichtige Personen werden beim BMI in eine von vier Graduierungen eingeteilt. Oberhalb eines BMI von 40 gibt es allerdings keine Differenzierung mehr, obwohl das bei extrem übergewichtigen Patienten unbedingt notwendig wäre.

Die Nauheimer-Schweregradeinteilung für den BGQ, die im Vergleich zum BMI jedoch um zwei weitere Adipositasgrade oberhalb von BMI 40 erweitert wurde, nimmt eine fünfgradige Einstufung vor, die sprachlich bewusst die DGL-Nomenklatur der Stärkegrade der Ödeme benutzt.

 

Einteilung der Adipositasgrade nach dem Bauch-Größe-Quotient (Nauheimer-Adipositas-Skala)

Bauch-Größe-Quotient

Adipositasskala

40 % – 45 %

Normalgewicht

46 % –54 %

Übergewicht

55 %– 63 %

geringe Adipositas = Grad I nach BMI

64 %– 72 %

mäßige Adipositas = Grad II nach BMI

73 % –81 %

starkgradige Adipositas = Grad III nach BMI

82 %– 90 %

massive Adipositas = Grad IV

> 91 %

Adipositas gigantosa oder permagna = Grad V

   

Diese Einteilung gibt den Adipositasgrad und das dadurch bedingte Adipositas-assoziierte Gesundheitsrisiko realistisch wieder. Mit zunehmendem Alter müssen die Prozentwerte etwas höher angesetzt werden, ab 20 Jahren um 2%, ab 30 Jahren um 3%, ab 40 Jahren um 4% und ab 50 Jahren um 5% - Punkte.

Der BGQ (WHtR) ist somit die genaueste anthropometrische Messmethode zur Ermittlung des Adipositasgrades und damit des Adipositas-assoziierten Gesundheitsrisikos allgemein und ganz besonders in der Lymphologie.

 

Merksatz für ein gesundes Leben: „Der Bauchumfang sollte weniger als die halbe Körpergröße betragen.“

 

Die Therapie der Adipositas besteht aus Energie-reduzierter Mischkost und Ausdauersport von mindestens 2 Std. wöchentlich, in Verbindung mit Psychotherapie, Teilnahme an einer Adipositas-Gruppe sowie Beratung durch Diätassistent und Ernährungsmediziner. Bei Versagen dieser konservativen Therapie sind chirurgische Eingriffe (sog. bariatrische Operationen) zu erwägen, z.B. Magenband, Magenballon, Magenbypass, Schlauchmagen oder bilio-pankreatische Diversion.

2. Symmetrische Lipomatose des Rumpfes

Die Ursache dieser benignen symmetrischen Fettgewebsvermehrungen des Rumpfes, die überwiegend bei Männern, aber gelegentlich auch bei Frauen auftritt, ist nicht sicher bekannt. Es besteht einerseits eine genetische Disposition, andererseits wird Alkoholmissbrauch angenommen.

 

 

Benigne symmetrische Lipomatose des Rumpfes  (Launois - Bensaude - Syndrom)

 

Diese Fettgewebsvermehrungen des Rumpfes führen im Gegensatz zur Extremitäten-Lipohypertrophie nicht zu Beschwerden. Bei Frauen kann sich dabei an der Brust eine Gigantomastie und am Bauch eine Pseudo-Adipositas entwickeln, wobei letztere nur mittels MRT diagnostiziert werden kann. Beim Beckengürteltyp der Frau bestehen Übergänge zur Lipohypertrophie der Beine und des Gesäßes. Man kann die Lipomatose als Körperformvariante auffassen. MLD oder Kompressionsjacken bringen keine Gewebsabnahme und sind daher nicht indiziert. Eine erhebliche psychische Belastung kann verständlicherweise durch die entstellende Körperform auftreten. Gewebsreduktionen sind nur operativ möglich, am besten mit der Liposuktion.

3. Extremitäten-Lipohypertrophie

Die Extremitäten-Lipohypertrophie (EL) ist eine Sonderform der Fettgewebsvermehrung, die fast ausschließlich Frauen betrifft. Dabei handelt es sich um eine anlagebedingte Fettgewebsvermehrung der Extremitäten, die beim Oberschenkelbefall auch das Gesäß und die Hüften mit erfasst. Charakteristisch für diese Fettverteilungsstörung ist, dass die Verdickungen der Beine und Arme selbst bei zusätzlicher Adipositas immer erheblich stärker ausgeprägt sind als am Rumpf. Es besteht also eine deutliche Disproportion zwischen den Verdickungen der Beine und der Arme gegenüber dem Rumpf, Arme und Beine sind viel zu dick im Verhältnis zum Rumpf.

Diese Lipohypertrophie betrifft nur in ganz seltenen Fällen Männer und zwar bei hochgradigem Androgenmangel, z. B. nach beidseitiger Hodenentfernung und bei erhöhtem Östrogenspiegel infolge Östrogentherapie oder Leberzirrhose. Der Quotient Testosteron zu Östrogen ist deutlich erniedrigt. Bei Frauen mit Lipohypertrophie treten weder Fettstoffwechselstörungen noch hormonelle Störungen gehäuft auf.

Die Lipohypertrophie manifestiert sich meist schon in der Pubertät, selten noch nach der Menopause. Die Progredienz einer Lipohypertrophie ist genetisch festgelegt, im Einzelfall aber nicht vorauszusagen. Sie verstärkt sich aber sicherlich bei zusätzlicher Adipositas. Den Stärkegrad der Lipohypertrophie unterteile ich wie beim Lymphödem in 5 Schweregrade: gering, mäßig, stark, massiv und gigantisch, wobei diese Extremitäten mit fiktiven „normalen“ Extremitäten verglichen werden.

Erwähnenswert ist, dass diese Fettgewebsvermehrung der Extremitäten früher häufig als „Lipodystrophie“ benannt wird, was jedoch sprachlich falsch ist, da eine Dystrophie ein Mangelsyndrom definiert. Der Ausdruck „Lipodystrophia diabetica“ bezeichnet beispielsweise den Fettgewebsschwund beim Diabetiker mit Insulintherapie im Bereich der Injektionsstellen. Aus diesem Grund habe ich 1993 den Ausdruck „Lipohypertrophie“ in die Lymphologie eingeführt, der unmissverständlich eine Vermehrung des Fettgewebes beinhaltet. Morphologisch handelt es sich zwar um eine Kombination von Hyperplasie und Hypertrophie, also eine Vermehrung der Fettzellenanzahl und eine Größenzunahme der Fettzellen, aber ich halte den Ausdruck Lipohypertrophie für günstiger, da er sowohl die Vergrößerung der Fettgewebsmasse beinhaltet als auch sprachlich das Gegenteil zur Lipodystrophie darstellt. Details dazu auf www.lipohypertrophie.net.

Die Extremitäten-Lipohypertrophie tritt in verschiedenen Formvarianten auf:


 

Formvarianten der Extremitäten-Lipohypertrophie der Beine, Füße und Zehen ödem- und verdickungsfrei

 

An den Beinen sind entweder nur die Oberschenkel (Oberschenkeltyp) von der Fettgewebsvermehrung betroffen oder die Fettgewebsvermehrung reicht bis zur Mitte der Unterschenkel (Wadentyp durch infrapatellare Lipohypertrophiesäcke) oder im ausgedehntesten und häufigsten Fall bis zu den Knöcheln (Pumphosen- oder Ganzbeintyp). In der Regel sind in diesen Fällen Gesäß und Hüften ebenfalls lipohypertrophisch verdickt. In schweren Fällen besteht eine Pseudoadipositas durch einen falsch erhöhten BMI.

 

 

In 95% sind die Füße und Zehen ödem- und verdickungsfrei. In 5% sind Füße und Zehen ebenfalls durch eine Lipohypertrophie verdickt, wobei die Konsistenz dann teigig-weich ist (Pseudo-Stemmer) im Gegensatz zur relativ derben Konsistenz der Proteinfibrosen beim Lymphödem (Stemmer-Zeichen).

 

An den Armen bestehen entweder symmetrische Verdickungen der Oberarme (Oberarmtyp) oder aber der gesamten Arme (Ganzarmtyp), wobei die Verdickungen überwiegend im Bereich der Handgelenke enden, sodass die Hände und Finger in 77% frei von Verdickungen und Ödemen sind. Auch hier bestehen teigig-weiche Verdickungen der Hände und Finger durch Fettgewebe bei 23%.

 

 

Formvarianten der Extremitäten-Lipohypertrophie der Arme, Hände und Finger ödem- und verdickungsfrei

Massive Lipohypertrophie der Oberarme

 

 

Eine weitere seltene Variante ist die „zentrale Lipohypertrophie“, bei der die Patienten nur verdickte Oberschenkel und verdickte Oberarme haben.

 


zentrale Lipohypertrophie                                                          Reithosen-Variante

 

 

An den Beinen tritt manchmal als Variante die „Reithosenadipositas“ auf, bei der sich besonders im Bereich der lateralen proximalen Oberschenkel die Fettgewebsvermehrung zeigt. Bei massiv ausgeprägter Hüften- und Gesäßlipohypertrophie spricht man auch von einem „Hottentottensterz“.

An den Fällen ohne Adipositas ist eindeutig zu erkennen, dass es sich bei der Lipohypertrophie um eine genetisch bedingte Fettverteilungsstörung handelt, die nicht abgehungert werden kann.

Objektive Beschwerdesymptome bestehen bei der Lipohypertrophie nicht, sodass es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine Körperformvariante handelt. Ein Schweregefühl der Beine ist physiologisch und daher diagnostisch nicht verwertbar. Durch eine Lipohypertrophie oder ein Lipödem ohne Adipositas wird die Lebenserwartung nicht verkürzt. Die Betroffenen leiden jedoch verständlicherweise oft psychisch sehr unter den entstellenden Verdickungen der Beine oder Arme.

Über die Häufigkeit der Lipohypertrophie gibt es keine Untersuchungen. Diese sind auch seriös kaum möglich, da die Einstufung, ob es sich um eine Fettverteilungsstörung handelt oder nicht, doch sehr von subjektiven Einschätzungen abhängt.

Als Ursache der aus heutiger Sicht unsinnigen Fettgewebsvermehrungen der Beine gibt es zwei Hypothesen:

1. Bis ins 19. Jahrhundert (und in manchen Gegenden noch heute) wurden Frauen mit Lipohypertrophie von Gesäß und Beinen (Rubensfigur) als Schönheitsideal und gesund angesehen. Daher bevorzugten Männer diese zur Familienplanung. Diese Selektion erklärt das noch heutige häufige Vorkommen der Lipohypertrophie, obwohl sich mittlerweile das Schönheitsideal komplett geändert hat.

2. Das vermehrte Fettgewebe dient als Stoffwechsel-Radikalenfänger, weswegen Frauen mit Lipohypertrophie weniger von Erkrankungen befallen werden, was nach Darwin einer Evolution entspricht. Es ist wahrscheinlich, dass Radikale Zellen schädigen und so z. B. die Entstehung von Krebs, Arteriosklerose und M. Alzheimer begünstigen.

 

4. Lipödem (Lipohypertrophia dolorosa)

Das Lipödem entwickelt sich immer nur aus einer Lipohypertrophie heraus, und zwar nur bei einem Teil der Betroffenen, wobei der Prozentsatz nicht bekannt ist. Die Ursache ist nicht die früher vermutete Orthostase, sondern im wesentlichen eine erhöhte Kapillarpermeabilität und zum geringen Teil eine mechanische Komprimierung der kleinen Venen und kleinen Lymphgefäße durch die Fettgewebsmassen, was sich bei der indirekten Lymphographie als korkenzieherartige Deformierungen dieser Lymphgefäße und als flammenförmige Kontrastmitteldepots im Interstitium darstellt. Auch in der Fluoreszenzmikro-Lymphangiographie zeigt sich eine Mikroangiopathie mit Erweiterungen und Mikroaneurysmen der Lymphkapillaren. Die Wassereinlagerungen ins Fettgewebe sind mengenmäßig nicht von Bedeutung, führen aber zu den typischen Symptomen des Lipödems:

·      Spannungsgefühl

·      erhöhte Druck- und Berührungsempfindlichkeit des Fettgewebes (Kneiftest)

·      Prallheit des Fettgewebes

Der Kneiftest ist schon bei geringem Druck schmerzhaft (positiv).

Die Neigung zu Hämatomen ist kein diagnostisches Kriterium für ein Lipödem, da viele Frauen mit und ohne Lipödem schon auf leichten Druck zu Hämatomen neigen.

Die oben genannten Beschwerden sind anfangs reversibel, also nur zeitweilig vorhanden, was als Neigung zu Lipödem bezeichnet wird. Wenn die Symptome dauernd vorhanden sind, allenfalls in der Stärke wechseln, dann besteht ein Lipödem. Ein typischer Verlauf ist, wenn eine betroffene Patientin z. B. seit der Pubertät eine zunehmende Lipohypertrophie der Beine hat, die 7 Jahre nach Beginn der Verdickungen erstmals zu Lipödembeschwerden führen.

Für das Lipödem der Beine ist besonders charakteristisch die Druckempfindlichkeit im Bereich der Knieinnenseiten, im Bereich der Fettgewebssäcke unterhalb der Innenknie und in den Verdickungen direkt oberhalb der Knöchel. An den Armen ist meist eine auffällige Druckempfindlichkeit der Oberarmhängefalten und der Fettgewebsverdickungen direkt oberhalb der Handgelenke festzustellen.

Dass bei einem Lipödem tatsächlich eine Ödematisierung besteht, kann man daraus ersehen, dass durch eine intensive Physikalische Ödemtherapie pro Bein durchschnittlich 1 200 ml Ödemwasser herausdrainiert werden können, wogegen bei einer vom Volumen her vergleichbaren Lipohypertrophie ohne Beschwerdesymptomatik eine Volumenabnahme von nur ca. 600 ml zu erzielen ist. Bei der Volumenabnahme muss berücksichtigt werden, dass diese nur dann genau der Ödemabnahme entspricht, wenn die Volumenreduktion der Beine mit der Gewichtsabnahme identisch ist. Eine gleichzeitige Gewichtsabnahme durch Fettgewebsabbau täuscht daher eine höhere Ödemabnahme vor. Typisch ist auch, dass durch die physikalische Behandlung eines solchen Lipödems das vorher pralle Fettgewebe weicher wird und sich die Schmerzhaftigkeit zunehmend verliert.

Da das Lipödem nur aus einer Lipohypertrophie hervorgeht, sind die disproportionierten Formvarianten des Lipödems identisch mit denen der Lipohypertrophie.

 

Das Lipödem kann man in die folgenden drei Stadien einteilen:

·      Stadium 1: Orangenhaut mit feinknotiger Hautoberfläche

·      Stadium 2: Matratzenhaut mit grobknotiger Hautoberfläche

·      Stadium 3: grobe, deformierende Fettlappen

 

 

 

75-Jährige, Lipödeme Stadium 3 seit 20 Jahren bei jetzt gigantischer Lipohypertrophie seit der Pubertät, seit 15 Jahren zusätzlich Phleb-Lymphödeme der Unterschenkel.

 

Zusätzlich ist eine weitere Einteilung nach dem vorher definierten Schweregrad (1 – 5) der zugrunde liegenden Lipohypertrophie notwendig, da sich daraus Konsequenzen für die Intensität der MLD-Therapie und die Indikation zur medizinischen Liposuktion ergeben.

Über die Häufigkeit des Lipödems gibt es keine exakten Zahlen. Aufgrund des Verhältnisses von Lymphödem und Lipödem in Ödemkliniken schätze ich die Häufigkeit auf 80 000 Betroffene für Deutschland.

Die reine Form von Extremitäten-Lipohypertrophie und Lipödem ohne zusätzliche Adipositas findet sich nur bei 20%. Das bedeutet, dass 80% der Lipödem-Patienten zusätzlich eine Adipositas haben, die das Krankheitsbild verschlechtern kann.

Erwähnenswert ist noch, dass auch bei schlanken Frauen das Phänomen der Matratzen- oder Orangenhaut (Zellulite, Cellulite) infolge trichterförmiger Einziehungen im Bereich der Bindegewebssepten beim Kneiftest keinen Hinweis auf eine spätere Lipödementwicklung darstellt. Dieses Phänomen ist typisch für die weibliche Haut und in ihrer Bindegewebsstruktur begründet. Bei Frauen gibt es so genannte große stehende Fettzellkammern, die beim Zusammendrücken der Haut das Orangenhautphänomen produzieren. Bei Männern sind die Bindegewebssepten dagegen scherengitterartig angeordnet und führen beim Zusammendrücken nicht zu diesem Hautphänomen.

Die Häufigkeitsverteilung des Lipödems und der Lipohypertrophie an Armen und Beinen ergibt folgendes Verteilungsmuster:

·      Beine: allein 66 %, insgesamt 97 %

·      Arme: allein 3 %, insgesamt 34 %

·      Arme und Beine gleichzeitig: 31 %

Kombinationsformen

Tritt das Lipödem zusammen mit einem Phlebödem auf, dann wird diese Kombinationsform Lip-Phlebödem  genannt. Die Kombination aus Lipödem und Lymphödem heißt Lip-Lymphödem. Hierbei tritt die Lymphostase symmetrisch auf. Erkennbar ist das Lip-Lymphödem daran, dass einerseits eine tiefe Dellbarkeit der Unterschenkel besteht – im Gegensatz zum Lipödem, bei dem allenfalls eine sehr flache Dellenbildung beobachtet wird. Andererseits findet sich eine symmetrische geringgradige Proteinfibrose an Vorfüßen und Zehen, die jedoch nicht mit der atypischen Lipohypertrophie der Füße beim Lipödem verwechselt werden kann. So ist es nicht verwunderlich, dass Lipödem und Lip-Lymphödem häufig verwechselt werden. Nach meinen Statistiken in der Ödemklinik von 2005 bis 2007 ist die Diagnose „Lip-Lymphödem“ die häufigste Fehldiagnose in der Lymphologie, denn sie war in 75 % aller Fälle falsch. Tritt das Lymphödem unsymmetrisch bei zusätzlichem Vorhandensein eines Lipödems auf, handelt es sich nicht um ein Lip-Lymphödem, sondern um ein primäres Lymphödem und zusätzlich um ein Lipödem. Selten tritt auch die Dreierkombination Lip-Phleb-Lymphödem auf . Die führende Ödemkomponente wird immer zuerst genannt.

 

Differenzialdiagnose

Am häufigsten wird ein Lipödem mit einer Lipohypertrophie oder einer Adipositas verwechselt.

Differenzialdiagnose der wichtigsten Fettgewebsvermehrungen

Parameter

Lipödem

Lipohypertrophie

Adipositas

Geschlecht

+

Fettgewebsvermehrung

Extremitäten

Extremitäten

Rumpf

Beschwerden

ja

nein

nein

Umfang Taille/Umfang Extremität

erniedrigt

erniedrigt

erhöht

 

 

Außerdem muss das Lipödem in geringer Ausprägung differenzialdiagnostisch vom symmetrischen Lymphödem der Beine sowie vom idiopathischen und orthostatischen Ödem bei Adipositas abgegrenzt werden. Bei differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten der Abgrenzung zum Lymphödem empfiehlt sich die Durchführung einer Lymphszintigraphie, die beim Lipödem einen normalen bis erhöhten inguinalen Uptake ergibt.

Beim idiopathischen Ödem ist eine morgendliche Schwellungssymptomatik auch im Bereich der Hände und des Gesichts charakteristisch.

Beim orthostatischen Ödem ist nur ein belastungsabhängiges Spannungsgefühl der Unterschenkel auffallend.

Eine Labordiagnostik des Lipödems ist nicht möglich, da es weder gehäuft hormonelle Veränderungen noch Stoffwechselstörungen zeigt.

Differenzialdiagnostisch muss beim Lipödem außerdem eine Polyneuropathie der Beine, ein Fibromyalgiesyndrom, Ischialgien, eine Gonarthrose und psychogene Schmerzhaftigkeit ausgeschlossen werden.

Als „Pseudolipödem“ bezeichne ich eine Lipohypertrophie, bei der die Beschwerden eines Lipödems angegeben werden, obwohl sie objektiv nicht vorhanden sind. Der Grund für diese Vortäuschung ist einerseits der Wunsch nach Zuwendung über die MLD, andererseits eine Selbsttäuschung als Erklärung für eine Adipositas. Erkennbar ist das Pseudolipödem daran, dass der Patient, abgelenkt durch ein intensives Gespräch, auf einen Kneiftest nicht mit Schmerzangabe reagiert.

Therapie

Die Behandlung der Lipohypertrophie ist bei mechanischen Behinderungen und starker psychischer Belastung mittels Liposuktion möglich, am besten in Tumeszenz-Lokalanästhesie (TLA) mittels Vibrationskanülen. Besonders vorsichtig muss am Bein im Bereich des ventromedialen Lymphgefäßbündels vorgegangen werden, um nicht die Lymphgefäße zu schädigen. Das Absaugen der lateral am Oberschenkel liegenden Fettmassen ist dagegen ungefährlich, da dort keine wichtigen Lymphgefäße verletzt werden können. Besondere Vorsicht ist auch beim Absaugen am Oberarm im Bereich des basilären Bündels angebracht. Nach Durchführung der Liposuktion kann die Lipohypertrophie zum Stillstand kommen, manchmal aber auch erneut voranschreiten.

Früher waren Liposuktionen nach allgemeiner lymphologischer Lehrmeinung wegen der Verletzungsgefahr von Lymphkollektoren mit dem Risiko der Entstehung eines sekundären Lymphödems durch die damals verwendeten scharfen Kanülen beim Lipödem kontraindiziert. Seit ich jedoch 1997 erstmals publiziert  habe, dass die Liposuktion zur Reduzierung des Lipohypertrophie-Gewebes geeignet sei, da bei der Benutzung von stumpfen Kanülen kein Lymphödemrisiko mehr bestehe, hat in der Lymphologie langsam ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Heute spricht daher aus lymphologischer Sicht nichts gegen eine Liposuktion bei der Extremitäten-Lipohypertrophie und auch beim Lipödem.

Als Nachbehandlung der Liposuktion ist neben der Kompressionsbehandlung auch die MLD für einige Wochen wichtig, da es dadurch zu einem schnelleren Hämatomabbau kommt.

In manchen Fällen wird aus psychologischen Gründen (Dysmorphiephobie = Entstellungssyndrom-Angst) das Tragen einer Kompressionsstrumpfhose der Klasse 2 indiziert sein, obwohl deren Wirksamkeit bei der Lipohypertrophie nicht belegt ist. Möglicherweise kann durch das Tragen einer Kompressionsbestrumpfung das Voranschreiten der Lipohypertrophie verlangsamt oder eventuell sogar ein verstärkter Fettzellabbau erzielt werden. Dazu gibt es aber keine aussagekräftigen Studien.

 

Das Therapieziel ist beim Lipödem die Beseitigung der Beschwerden. Es muss mit der Physikalischen Ödemtherapie (auch als KPE bekannt), der Kombination aus Kompressionsbehandlung und MLD, behandelt werden, da es sich um ein lokalisiertes Ödem handelt. Durch diese Therapie können die Symptome der Erkrankung wesentlich gebessert oder zum Verschwinden gebracht werden. Die Kompressionstherapie ist dabei immer die erste Therapieoption und wichtiger als die MLD. Bei der Behandlung mit MLD ist die Abflussbehandlung nur von geringer Bedeutung, da die Lymphkollektoren normal ausgebildet sind. Die MLD-Griffe müssen beim Lipödem schonend durchgeführt werden, da einerseits eine Schmerzhaftigkeit, andererseits eventuell eine verstärkte Neigung zur Hämatombildung besteht. Die ambulante Behandlungsfrequenz beim Lipödem ist in der Regel mit 1- bis 2-mal wöchentlich als 45- oder in schweren Fällen als 60-Minuten-Behandlung ausreichend. Auf die Therapie mit MLD kann verzichtet werden, wenn die Eigenbehandlung mit einem pneumatischen Kompressionsgerät (AiK = IPK) zuhause möglichst täglich durchgeführt wird.

Die Bestrumpfung beim Lipödem besteht in der Regel aus einer flachgestrickten Kompressions-Strumpfhose der Klasse 2, bei Jüngeren auch der Klasse 3, wenn deren Körperform wesentlich von einer Normalform abweicht. Auf die Bestrumpfung der Füße kann dabei verzichtet werden, da die Füße und die Zehen in der Regel nicht ödematisiert sind. In einem solchen Fall reicht ein Steg unter dem Fuß hindurch, um ein Hochrutschen der Kompressionsbestrumpfung zu verhindern. Die Hose kann auch in Legginsform sein, also über dem Knöchel enden, wenn kein Ganzbeintyp besteht.

 

Eine Liposuktion ist bei einem Lipödem genauso möglich wie bei der Lipohypertrophie. In 30% der Fälle verschwinden dadurch die Beschwerden komplett, sodass danach auf Kompression und MLD verzichtet werden kann. Bei den anderen 70% muss die physikalische Therapie fortgesetzt werden, wenn auch oft in reduzierter Intensität.

Die Liposuktion ist keine Kassenleistung und wird daher von den Krankenversicherungen als eine „Schönheitsoperation“ eingestuft. Sie muss deshalb vom Patienten selbst gezahlt werden. Die Krankenversicherungen können jedoch in Einzelfällen durch eine Einzelentscheidung nach Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)  die Kosten der Liposuktion übernehmen. Eine medizinische Indikation zur Liposuktion halte ich für gegeben, wenn durch die Lipohypertrophie oder das Lipödem die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (sozial, kulturell, wirtschaftlich) erheblich eingeschränkt ist, was der Fall ist, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

 

1. entstellende Körperform (massive oder gigantische Lipohypertrophie)

2. Störung der Körperfunktion (Geh- oder Sitzbehinderung)

3. keine wesentliche Adipositas, also der BGQ (WHtR) unter 55%

 

Autor: Dr. Ulrich Herpertz

            www.lymphforum.de